(= Schneewittchen, Hindi)

Puppenspiel, ab 6 Jahre

Anlässlich der Geburtstagsfeier eines stadtbekannten Lohrer Apothekers (er führt einen Marienkäfer im Wappen) wurde das Märchen von Himgaury uraufgeführt. Zugleich dokumentiert (ja, beweist) es, dass Schneewittchen eine Lohrerin war, wenn auch mit Migrationshintergrund….

Die „Lohrer Puppenbühne“ besteht seit nunmehr über 20 Jahren und spielt vorwiegend Märchen und Geschichten aus Indien und Persien. Die Puppen brachte Friedel Liedhegener von seinen Besuchen in Udaipur (Radjastan) mit. Alle (12) Stücke sind als Mitmachtheater angelegt; die Lohrer Puppenbühne spielt für Vereine und Kindergärten, kann aber auch für Geburtstagsfeiern gebucht werden.

 

Vor vielen Jahren lebte in Indien ein Raja (=König) glücklich mit seiner Rani (=Königin).

Nach einem Jahr und den dazu notwendigen Bemühungen bekam die Rani ein schönes Kind, ein Mädchen. Weil aber seine Haut fast so hell war wie der Schnee auf den Bergen im Himalaya (und das gilt in Indien als etwas ganz besonderes), nannten sie es „Himgaury“.
Leider starb die Königin kurz darauf an einer schweren Krankheit; der Raja war darüber ganz untröstlich. Himgaury aber wuchs zu einer schönen Frau heran.

Eines Tages sprach der Raja zu sich: “Es ist nicht gut, dass des Mensch allein sei. Ich will mir eine neue Gemahlin erwählen!“ Er sandte seine Diener in alle Nachbarkönigreiche und ließ seinen Willen verkünden. Und tatsächlich kamen sie nach einigen Wochen mit zwei Prinzessinnen im Gefolge zurück.

Der Radja, wie er auch hin und her überlegte, konnte sich weder für die eine noch die andere entscheiden. Beide waren über die Maßen schön, die erste zudem sehr reich während die andere sich durch eine ungewöhnliche Geschäftstüchtigkeit auszeichnete. “Ach“, sprach der Radja, “Ach – ich nehme einfach beide! Wozu bin ich Moslem?“.
Hier muss angemerkt werden, dass er leider nicht mit Weisheit gesegnet war. Er wusste nicht, dass, wenn ein Mann mit einer Frau glücklich werden will, Schönheit, Reichtum, Klugheit und sonstige Vorzüge einer Frau nur von geringem Wert für das bleibende Glück einer Ehe sind. Wie sagte schon der weise Kon-Fu-Tse zu seinem Sohn: „Sohn, merke auf – NETT sind sie alle – LIEB müssen sie sein!“
So bekam die schöne Himgaury zwei Stiefmütter, von denen leider keine so lieb war, wie ihre leibliche Mutter – und das wird noch Folgen haben! (Es hätten sogar vier Stiefmütter werden können, aber das würde die Geschichte unnötig aufblähen).
Eines Tages saßen die zwei Schönen in ihren Gemächern beieinander und sprachen: „Das Kind wird von Tag zu Tag schöner, während wir immer älter werden. Bald wird ein Prinz hier auftauchen und um sie werben. Dann werden sie heiraten und den Raja dazu überreden, abzudanken. Und was wird dann aus uns? Wir müssen uns dieses Kind vom Halse – und uns somit Zeit schaffen!“
Am Hofe des Rajas lebten, wie das ja oft der Fall ist, einige merkwürdige Gestalten. Unter anderem war da ein Sanjassin (= Büßer), ein Amerikaner, einer von Krishna´s krummen Brüdern, der eigentlich hauptsächlich wegen des guten Essens bei Hofe lebte.

Diesen ließen die Ranis zu sich rufen und sprachen: „Sanjassin – wenn du auch weiterhin bei uns leben und essen möchtest, solltest du dich jetzt als nützlich erweisen“. Der Sanjassin warf sich zu Boden und versprach, alles zu tun was die Ranis wollten. „Höre,Sanjassin – morgen früh bringst du Himgaury in den Dschungel, weit weg, und dort tötest du sie!“ „Herrinnen!“ schrie der Sanjassin, “Ich bin ein Amerikaner – wir töten nicht!“ „Wie immer du das anstellen willst ist uns egal - Hauptsache ist, dass du ohne sie zurückkommst – sonst sehen wir schwarz für dich.“
Da erdachte der Sanjassin in seinem christlichen Herzen einen finsteren Plan. „Liebe Himgaury“ sprach er zu ihr am nächsten Morgen, “schon immer wolltest du doch den kleinen Tempel der Göttin Parvati besuchen, wo ich meine täglichen Gebete verrichte. Deine Mütter haben nun die Erlaubnis gegeben, dass du mich heute dorthin begleiten darfst.“ Himgaury freute sich darüber sehr und so brachen sie direkt nach dem Frühstück auf.
Der Weg zog sich aber immer mehr in die Länge; Himgaury ,da es schon auf den Abend zuging, war müde geworden. „Wann sind wir denn endlich da?“ fragte sie besorgt. „Oh – es scheint, als hätte ich ein wenig den Weg verfehlt – aber schau – da ist ja ein anderer Tempel, da wollen wir die Nacht verbringen!“
Es war aber der Tempel der Göttin Kali. (Eine Göttin, mit der nicht zu spaßen ist!).
Der Sanjassin nahm seine Drogen und schlief ein. Auch Himgaury legte sich auf ein Bündel Bananenblätter und bald war auch sie eingeschlafen.
In der Nacht aber erschien dem Sanjassin die Gottheit in ihrer schrecklichen Gestalt.

„Sanjassin,“ sprach sie, „wenn du diesem lieben, schönen Kind etwas zuleide tust – du kennst mich und du weißt, was ich mit dir zu tun imstande bin!?“ Schweißgebadet erwachte der heilige Mann. “Nur weg hier – nichts wie weg“ dachte er und floh in die dunkle Nacht hinaus.
Himgaury erwachte am nächsten Morgen, aber so sehr sie auch rief – der Sanjassin war und blieb verschwunden.
(Dieser, nachdem er eine ganze Stunde gelaufen war und nun überzeugt war, dass die Prinzessin unmöglich aus diesem Dschungel herausfinden könnte – von den hungrigen Tigern mal ganz abgesehen, setzte sich erschöpft auf einen Baumstamm, der halb im Fluss lag. Es war aber kein Baumstamm, sondern <Kali´s Wege sind unerforschlich> ein großer Mugger, ein indisches Krokodil. Den Rest mögen wir uns nicht so gerne vorstellen….)
Himgaury aber, etwas beklommenen Herzens, folgte einem kleinen Vogel, der immer wieder sitzenblieb und sich auffordernd nach ihr umsah. Auf einmal hörte sie einen wunderbaren, zweistimmigen Gesang. Sie ging den Klängen nach und kam auf eine Lichtung. Vor einem kleinen Häuschen saßen zwei braune, bengalische Bergleute und sangen. Diese hielten verblüfft inne und staunten nicht schlecht, als sie das schöne Mädchen erblickten!
Himgaury erzählte von ihrem unerfreulichen Abenteuer und die beiden Männer (sie schürften hier im Dschungel sehr erfolgreich nach Gold und Edelsteinen) boten ihr sofort Schutz und Hilfe an.

Himgaury staunte nicht schlecht, als sie die enormen Schätze, welche die beiden zutage gefördert hatten, sah. „Ich sehe“, sagte sie, „ich sehe, euch geht es gut! Aber jetzt möchte ich gern etwas zu essen haben!“. Da wurden die beiden sehr verlegen und gestanden, dass sie, außer Wodka und Bananen, nichts anzubieten hätten. „Wir können nämlich leider nicht kochen, weißt du“, sagten sie entschuldigend. Himgaury sprach : „Ihr guten Bengalen, da es sicher noch eine Weile dauern wird, bis man nach mir suchen wird, werde ich so lange bei euch bleiben und für euch kochen, wenn ihr mir dafür Unterkunft gewähren wollt.“ Die zwei stimmten begeistert zu und so brachte am nächsten Tag der Lieferservice, der sich bis dato auf die pünktliche Anlieferung von polnischem Wodka beschränkt hatte, die besten Zutaten zu den köstlichsten Gerichten, auf deren Zubereitung sich Himgaury vorzüglich verstand! So lebten die drei einige Tage glücklich und an reich gedeckten Tischen.
Im Palast aber warteten die zwei Bösen auf die Rückkehr des Sanjassin. Als ihre Geduld erschöpft war, holte die eine einen Zauberspiegel hervor, der nicht nur eine lyrische Begabung hatte, sondern auch über alles, was in der Welt geschah, Bescheid wusste und stets die Wahrheit sagte.
So fragten sie den Spiegel:
„Spieglein, Spieglein, sag´ uns doch – lebt das schöne Mädchen noch?“
Und der Spiegel sprach:
„Wer dem Sanjassin hat vertraut, der hat sein Haus auf Sand gebaut! Das Mädchen lebt; beim Abendrot, macht sie zwei Männern Abendbrot!“
Da wurden die zwei sehr wütend und malten sich aus, wie sie den Sanjassin zu bestrafen gedachten.
Als dieser aber (aus Gründen, die nur uns bekannt sind) nicht zurückkehrte, ließen sie eine am Hofe weilende Hautärztin zu sich rufen, die aus guten Gründen (sie hatte eine Seife für Allergiker erfunden, die praktisch nur fatale Nebenwirkungen hatte…) ihre Heimatstadt Lohr verlassen musste.

„Frau Doktor, wenn du weiterhin unter dem Schutz unseres Herrschers leben willst, wäre es jetzt an der Zeit, uns einen kleinen Gefallen zu erweisen. Nimm deine Wunderseife und bringe sie in den Dschungel zu Himgaury. Sie wird sich sicher sehr darüber freuen! Und sei noch vor Sonnenuntergang zurück!“
Die Ärztin erreichte kurz vor Mittag das Haus der Bergleute. Diese gingen gerade ihrer Tätigkeit unter Tage nach und so war Himgaury ganz allein.
„Ja, Seife! Die habe ich allerdings vermisst – wie aufmerksam von meinen Stiefmüttern, mir welche zu schicken!“ Himgaury dankte und sah erstaunt, wie die Hautärztin davoneilte.
Nachdenklich drehte sie die wohlduftende Seife in den Händen – sie sah im Geiste die beiden Bergleute vor sich, die sich, da sie ja jeden Tag aufs Neue in das Bergwerk gingen, aufgehört hatten zu waschen. “Alles nur Zeitverschwendung“ hatten sie gesagt, “Uns stört es nicht.“
Himgaury füllte eine Wanne mit warmem Wasser, und als die beiden lehmverkrustet hereinkamen, bugsierte sie die Schmutzfinken zum Bade. Es schäumte, die zwei sangen, und als sie der Wanne entstiegen, da waren sie ganz hell und sauber geworden! „Hübsche Burschen seid ihr!“ rief Himgaury und die zwei bestaunten ihr Spiegelbild – sie hatten in all den Jahren ganz vergessen, wie sie aussahen!

Im Palast aber standen die zwei Bösen ungeduldig vor dem Spiegel:
„Spieglein , Spieglein hör mich an – hat das Gift sein Werk getan?“
Der Spiegel:
„Zwei Männer seh´ ich, weiß und rein – gesund wie auch das Mägdelein! Hier ging es, wie so oft im Leben: Der Seife Wirkung ging daneben!“
Nachdem die Ärztin des Hofes verwiesen worden war, besann sich eine der Bösen auf einen Apotheker, der ihren finsteren Plänen dienlich sein könnte. Auch dieser lebte schon geraume Zeit am Hofe (denn er musste seine Heimatstadt Lohr verlassen, weil er ein Shampoo entwickelt hatte, das nicht nur die Haare radikal entfernte…) und wusste den Luxus zu schätzen.

„Höre – bring das Shampoo in den Dschungel zu Himgaury und wage es nicht, unverrichteter Dinge zurückzukommen. Es wäre dein Ende! Sie oder du – du hast die Wahl!“
Bedrückt machte sich der Apotheker auf den Weg. Man muss nämlich wissen, dass er ein ansehnlicher Mann im besten Alter war und heimlich in die wunderschöne Prinzessin verliebt war. “Eine Prinzessin, noch dazu eine indische – das ist nichts für dich“, hatte seine Mutter gesagt, als er ihr in einem Brief sein Herz ausgeschüttet hatte.
Ach wie schlug letzteres, als Himgaury ihm die Tür öffnete! So schön war sie!
Hastig übergab er ihr das Fläschchen mit dem Shampoo und bevor sie noch „Nanu?“ sagen konnte, war er schon wieder im Urwald verschwunden. Er war aber nicht zum Schloss zurückgelaufen, sondern hatte sich im Gebüsch versteckt. Als die zwei Bengalen zurückkamen, spähte er heimlich durch das Fenster. Himgaury hatte wieder eine Wanne mit warmem Wasser bereitet (zuerst die beiden, dann ich, hatte sie gesagt) und die zwei stiegen hinein. Brausen, Schäumen und Singen, aber – oh Wunder – die Stimmen klangen heller und heller – und wer beschreibt unser Erstaunen: Sie entstiegen, zu Zwergen geschrumpft dem Bade!

„Wie schön!“ hörte der lauschende Apotheker Himgaury ausrufen, „Wie praktisch!“ riefen nun auch die beiden kleinen Bergleute mit Engelsstimmen, „Jetzt müssen wir nicht mehr so große Stollen graben!“
Da hielt es den Apotheker nicht länger an seinem Platz – er sprang in den Raum, kniete vor Himgaury nieder und sprach:
„Liebe Himgaury, ich liebe dich, bitte – werde doch meine Frau und folge mir in meine Heimat!“
„Nicht ohne meine Zwerge!“ rief sie und stellte sich entschlossen zu ihnen.
„Natürlich nicht – zurückkehren in den Palast können wir nicht – uns droht der sofortige Tod. Ich werde Visa und Reisepässe für uns alle besorgen!“
Uns so geschah es. Und bevor wir uns mit ihrem weiteren Schicksal befassen - werfen wir einen letzten Blick in den Palast:
„Spieglein, Spieglein, wurde jetzt - das Kind durch dieses Gift verätzt? Oh Spiegel, gib es endlich zu, jetzt ist sie tot , jetzt gibt es Ruh´.“
Der Spiegel:
„Der starke Wirkstoff schrumpfte nur der beiden Männer Rohnatur. Das tut der Haushaltskasse gut – sie essen aus ´nem Fingerhut!“
Da fielen die beiden Ranis vor Wut tot um, was uns aber jetzt nicht weiter kümmern soll.
In Lohr angekommen, bekamen Himgaury und die Zwerge bald eine Aufenthaltsberechtigung, kurz danach sogar die Staatsbürgerschaft. Himgaury stieß irgendwann den Apotheker ab (warum, weiß man nicht so genau) und heiratete einen Adeligen aus dem Hause Erthal. Sie wohnten, so will es die Sage, auch geraume Zeit in dem Lohrer Stadtschloss.
Die Zwerge konvertierten, einer wurde katholisch und gründete Frammersbach, der andere wurde evangelisch und – na ja, man kann sich schon denken, welchen Ort zwischen Lohr und Frammersbach er gründete ….
Den Spiegel fand man Jahre später auf dem Sperrmüll. Er steht jetzt im Lohrer Schloss und sagt jedem, der sie hören will, die Wahrheit.
Der Andrang, so sagt man, hält sich allerdings in Grenzen …….

© Friedel Liedhegener, Lohrer Puppenbühne